Tourismus
Das Reiseangebot war sehr verlockend: 12-tägige Flugreise nach Djerba, Tunesien, 4-Sterne-Hotel, Essen und Trinken, alles inklusive für 442,– Euro. Weitere Vorteile: Doppelzimmerbelegung als Einzelreisender und Abflug direkt von meinem Wohnort Düsseldorf. Ich wollte jedoch noch mal eine Nacht darüber schlafen, um dann am nächsten Tag die Reise per Internet zu buchen. Am nächsten Vormittag rief ich die Website des Reiseveranstalters auf, um die Buchung vorzunehmen. Zuvor drückte ich nochmals den Button "Überprüfen", um zu sehen, ob die Reise noch verfügbar war. Die Mitteilung war ernüchternd: "Leider ist diese Reise ausgebucht!" Nachdem ich auch bei anderen Schnäppchenangeboten kein Glück gehabt hatte, kehrte ich nochmals zu dem Hotel zurück, das ich so gern gebucht hätte. Plötzlich kam mir die Idee, die Parameter in der Suchmaske bezüglich der Reisezeit zu verändern, und zwar von 12 auf 14 Tage. Ich drückte auf "Go" und traute meinen Augen nicht: Reisepreis nur noch 358,– Euro für den gleichen Leistungsumfang. 84,– Euro gespart und noch zwei Urlaubstage mehr. Auch die Abflugzeit war mit 11 Uhr wesentlich angenehmer als 6.15 Uhr beim Angebot vom Vortag.
Zwei Stunden vor Abflug erreichte ich den Flughafen. Gedanklich hatte ich mein Urlaubsziel Djerba schon vor Augen, als ich die Flughafenhalle betrat. Was ich da zu sehen bekam, ließ in mir jedoch ein ungutes Gefühl aufkommen. Aufgrund eines spontanen Warnstreiks des Sicherheitspersonals standen Hunderte von Fluggästen in einer endlosen Schlange vor den Flugsteigzugängen. Zum Glück war der Streik nur bis 10 Uhr befristet, sodass sich der Abflug nur um 2 ½ Stunden verzögerte. Am nächsten Tag kaufte ich mir im Hotel eine Zeitung, die über die näheren Umstände des Streiks berichtete, der an allen größeren Flughäfen Deutschlands stattfand. Der Streik galt dem Lohndumping durch Zeitarbeiter, die immer mehr die festangestellten Arbeitskräfte verdrängen. Während meiner Wartezeit im Flughafengebäude fiel mir in diesem Zusammenhang auch meine supergünstige Urlaubsreise ein, die eigentlich nur durch Kostensenkungen an anderer Stelle möglich wurde, allen voran die Personalkosten.
358 Euro, 14 Tage Urlaub, Flug- und Hotelkosten, Essen und Trinken, alles im Preis enthalten. Das geht doch nur, wenn den Menschen in Tunesien Hungerlöhne gezahlt werden. Leider kennen die keine Gewerkschaften, die ihnen zu einem menschenwürdigen Einkommen verhelfen könnten. Nachdem mir das alles in einem meditativen Moment durch den Kopf gegangen ist, habe ich mir vorgenommen, wenigstens dem Zimmermädchen ein großzügiges Trinkgeld zu geben. Es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn der Kunde als Schnäppchenjäger maßgeblich dazu beiträgt, dass am Ende der Lohn- und Preiskette Menschen stehen, die macht- und rechtlos ein menschenunwürdiges Dasein fristen müssen. Auf der Versklavung und Ausbeutung dieser Arbeitskräfte beruht eigentlich unser gesamter Wohlstand, besonders der westlichen Industrienationen.
Reisen zur damaligen Zeit benötigten sehr viel Mut und Abenteuergeist. Es waren meist Forscher und Wissenschaftler wie Alexander von Humboldt, die gefährliches und unbekanntes Terrain betraten, wo viele Gefahren lauerten. Der heutige touristische Nomade ist da eine ganz andere Spezies. Er ist ein Konsumtourist, der jahrzehntelang der Natur weltweit großen Schaden zugefügt hat. Die schönsten Küsten der Welt sind mit unzähligen Bettenburgen zugepflastert worden, Vergnügungsparks und Shoppingcenter locken die Massen an. Die Vernichtung der Ressourcen ist gewaltig, Luft-, Müll- und Wasserverschmutzung haben einen nie dagewesenen Umfang angenommen. Als ich das erste Mal Anfang der 1980-er Jahre hier in Puerto de la Cruz Urlaub machte, war die Bebauung des Ortes noch angemessen, doch jetzt 35 Jahre später verunstalten große Hotelkästen das Ortszentrum. Zahlreiche Ferienressorts haben große Flächen überwuchert. Diese zügellosen Aktivitäten kann man überall auf der Welt beobachten. Geldgier der Investoren befeuern die negative Entwicklung, ohne Rücksicht auf die Natur, mit dem Ergebnis nachhaltiger Zerstörung einer in Jahrtausenden entstandenen Biosphäre, die sich im Einklang mit der Natur befand.
- "Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet." H. M. Enzensberger
- Siehe auch Kapitel "Tsunami"